Verfall und Verjährung von Resturlaub

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Verjährung von Urlaubsansprüchen

Das Bundesarbeitsgericht („BAG“) hat am 20.12.2022 sein Urteil – Az. 9 AZR 266/20 – zur Verjährung von Urlaubsansprüchen verkündet. Die Entscheidung ist bislang nur als Pressemitteilung publiziert. Gleichwohl hat sie große Aufmerksamkeit in der Tages- und Fachpresse erhalten, wird doch die Verjährung von Urlaubsansprüchen davon abhängig gemacht, dass Arbeitgeber in der Vergangenheit ihre Hinweis- und Mitwirkungsobliegenheiten beachtet haben.

Das BAG setzt damit Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs („EuGH“) um, die jener am 22.9.2022 in der Sache C-120/21 vorab entschieden hatte. In seiner Grundsatzentscheidung räumt der EuGH dem aus Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union abgeleiteten Gesundheitsschutz Vorrang ein vor der durch Verjährungsvorschriften bezweckten Rechtssicherheit. Diese Vorgaben sind für die deutsche Rechtspraxis verbindlich. Deshalb musste das BAG nun seine Rechtsprechung anpassen.

Seit einem BAG-Urteil vom 19.2.2019 – Az. 9 AZR 423/16 – stand schon fest: Arbeitgeber müssen ihre Arbeitnehmer alljährlich rechtzeitig auffordern, ihren noch offenen Urlaub zu beantragen. Außerdem müssen sie ihre Arbeitnehmer jeweils klar und rechtzeitig informieren, dass offener Resturlaub bei Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums verfällt, wenn er nicht beantragt wird.

Praxistipp:
Stellen Sie sicher, dass alle Arbeitnehmer jährlich frühzeitig individuell
(1) über ihren bestehenden Resturlaub informiert und
(2) zur rechtzeitigen Beantragung aufgefordert werden.

Weiter verlangt das BAG: Den Zugang dieser Hinweise muss der Arbeitgeber beweisen.

Praxistipp:
Dokumentieren Sie diese Hinweise jeweils so, dass diese erforderlichenfalls auch Jahre später noch in einem Prozess nachgewiesen werden können.

Schon seit einer EuGH-Entscheidung 2018 galt eine strenge Sanktion, wenn der Arbeitgeber seine Hinweis- und Mitwirkungsobliegenheiten verletzt hat: Resturlaubsansprüche verfallen auch nach Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums nicht mehr.

Bislang ging die deutsche Rechtspraxis aber davon aus, dass unverfallene Urlaubsansprüche nach drei Jahren verjähren. Nach der Entscheidung des BAG vom 20.12.2022 ist das nicht mehr möglich. Jetzt gilt, dass Urlaubsansprüche bei Verletzung der Hinweis- und Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers nicht mehr verfallen. Denn in solchen Fällen beginnt die Verjährungsfrist nicht zu laufen.

Praxistipp:
Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt bei Urlaubs- ansprüchen erst am Schluss jenes Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber die Hinweis- und Mitwirkungsobliegenheit beachtet hat und der Arbeitnehmer trotzdem aus freien Stücken keinen Urlaub beantragt hat.

Damit steht fest, dass Arbeitnehmer auch nach Jahren noch offenen Resturlaub geltend machen können, wenn der Arbeitgeber seinen Hinweis- und Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen ist.

Zahlreiche Rechtsfragen bleiben in der Entscheidung des BAG jedoch unbeantwortet und harren der Klärung. Unklar ist zum Beispiel, wem die Darlegungs- und Beweislast für den Umfang des offenen bzw. gewährten Urlaubs obliegt.

Praxistipp:
Bewahren Sie Urlaubsdaten aus dem Vorjahr auch über den Übertragungs-zeitraum hinaus auf.

Unklar ist auch, was nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gilt. Unterliegen finanzielle Abgeltungsansprüche für nicht verfallenen Urlaub ab dann der regelmäßigen Verjährung und vertraglichen Ausschlussfristen — oder bleiben diese auch „ewig“ bestehen? Das wird in der Pressemitteilung des BAG nur andeutungsweise erwähnt. Insoweit werden die noch nicht vorliegenden Urteilsgründe hoffentlich weitergehende Klarheit bringen.

Praxistipp:
Dringend zu empfehlen ist in jedem Fall, die Arbeitnehmer jährlich individuell und nachweisbar über ihre offenen Urlaubsansprüche und den möglichen Verfall zu informieren. Anderenfalls droht Arbeitgebern, dass nicht gewährte Urlaubsansprüche über Jahre hinweg aufgehäuft werden könnten.

 

Ihr Ansprechpartner für dieses Thema:
Rechtsanwalt Dr. Johannes Sedlmeier