Teurer Irrweg Cloudsourcing

Der Hype um die Public Cloud — Rettungsanker oder Irrweg?

Wer einschlägige Manager-Postillen liest, gewinnt schnell den Eindruck: Ein CIO, der seine IT nicht in die Public Cloud verlagert, hat den Anschluss verloren. Genaues Hinsehen zeigt, wer uns dies glauben macht. Es sind vor allem Cloud-Anbieter, die solche Parolen ausgeben. Das Ganze wird befeuert durch CIOs, deren Geltungsbedürfnis nur von ihrer Phantasterei übertroffen wird.

Die Buzz Word Cloud

Lesen Sie fünf „success stories“, fallen Ihnen auf Anhieb die stets gleichen Begriffe auf. Beratersprech heißt auf gut denglisch „buzzword“. Nehmen Sie eine Ausgabe von Computerwoche bzw. CIO Magazin zur Hand oder Hurrameldungen von Microsoft und Google. Dann kreuzen Sie an, wie rasch die folgenden Begriffe fallen:

Bingo Tabelle

Mit etwas Glück sind Sie nach zwei bis drei Seiten am Ziel!

Phrasendreschen für Fortgeschrittene

Vielleicht fehlt Ihnen die Zeit für nutzlose Glücksspiele wie Buzzword Bingo. Unsere Tabelle ist trotzdem nützlich: Dank des Baukastens können Sie gleich loslegen mit gut gedrechselten Phrasen:

Mit unserer agilen Cloud-Strategie bewältigen wir die digitale Transformation.

Haben Sie schon mal gelesen? Wie wäre es mit:

Durch die digitale Transformation werden wir agiler und schaffen Mehrwert für das Unternehmen.

Das Magazin, welches den „CIO des Jahres“ kürt, quillt über von solchen Phrasen. Ist Ihnen schon aufgefallen, welcher Unsinn das häufig ist? Ein gutes Beispiel ist der Begriff „Mehrwert“. Der kam in der deutschen Sprache kaum vor, weil Karl Marx ihn prägte und das Wort ideologisch verbrämt war. Bis Politiker die hässlich klingende Umsatzsteuer in „Mehrwertsteuer“ umtauften. Was für ein raffinierter Schachzug: Man nimmt dem Bürger mehr Geld weg und erklärt das zum Mehrwert für ihn!

Jahrzehntelang war der Begriff nur im Steuerrecht geläufig, bis junge Phrasendrescher das Word „added value“ entdeckten – und falsch übersetzten. Denn „Wert“ ist nur eine Bedeutung vom englischen „value“. Added value heißt auf deutsch schlicht Zusatznutzen. Weshalb bloß nutzt diesen Begriff keiner? Weil dann sofort auffiele, dass er nicht passt. „Die Cloud hat zusätzlichen Nutzen“ wirft sofort die Frage auf: „Ja welchen denn?“

„Die Cloud schafft Mehrwert“ hingegen hinterlässt den Hörer ratlos. Trotzdem klingt es irgendwie schlau. Dabei ist es die hirnlose Übersetzung von „creates added value“.

Der Hype ist längst vorbei!

Vor zehn Jahren startete der große Hype um die Cloud. Zunächst wurde es rasch ruhig um den Begriff. Seit drei Jahren tut wieder jeder so, als gebe es nichts Wichtigeres als Cloud in der IT-Abteilung.

Nur hinter vorgehaltener Hand bestätigen viele CIOs: Wir sind längst weg von „Alles in die Cloud“ oder „Cloud first“. Die Cloud ist viel zu teuer. Wir machen wieder verstärkt Insourcing.

Natürlich passt das nicht ins von Providern und Fachmagazinen gewünschte Bild. Allerdings werden die Zwischenrufe lauter und häufiger. Forrester kam 2019 zum Ergebnis: Für 90% der befragten Unternehmen ist lokale Infrastruktur ein kritischer Bestandteil ihrer Hybrid-Cloud-Struktur. Wie bitte? Das Word-Hybrid stand gar nicht auf der Tabelle zum Buzzword Bingo – da stand nur Cloud First! Selbst die Computerwoche stellte Anfang 2021 den grenzenlosen Möglichkeiten der Cloud grenzenlose Probleme gegenüber.

Oft liest man nur: Unternehmen xyz verspricht sich von der Cloud mehr Flexibilität und niedrigere Kosten. Wie, ein 1997 geschaffener Begriff mit seit 2010 verfügbarer Technologie weckt bis heute nur Erwartungen? Bei wem haben sich diese Erwartungen denn erfüllt – das ist die spannende Frage! Dazu hat 2020 Accenture 200 „Senior IT Executives“ befragt und fand heraus: Zwei Drittel der Befragten hatten die von der Cloud-Migration erwarteten Vorteile nicht erzielt.

Gleichwohl gibt es solche Unternehmen, davon zeugt der nächste Abschnitt.

Wofür die Cloud wirklich genutzt wird

Durch Beiträge in einschlägigen „Fachmagazinen“ verängstigt beeilt sich jeder CIO mit der Aussage, auch sein Unternehmen verlagere in die Cloud. Schaut man genau hin, wird deutlich: Da werden nur wenige Anwendungen verlagert, für die eine Public Cloud sinnvoll ist und keine Risiken aufweist.

Beispiel Commerzbank: Keine Bank kann und darf die Kontodaten ihrer deutschen Kunden ohne deren Einwilligung in eine US-Cloud verlagern. Wozu nutzt die Commerzbank also Azure? Dort werden rechenintensive Datensimulationen oder automatische Analysen anonymisierter Daten gefahren. BMW nutzt die Public Cloud seit Jahren für nur kurzfristig benötigte, enorm ressourcenhungrige Simulationen von Brennvorgängen im Zylinder, sowie für Data Analytics.

Die Beispiele belegen, wofür die Cloud geschaffen wurde und ideal geeignet ist:

  • Kurzfristig genutzte und stark anwachsende IT-Ressourcen
  • Keine oder wenige personenbezogene Daten

Beim schon verglühten Hype um Graph-Datenbanken war jedem klar: Es gibt kein „one for all“, es lassen sich nicht alle Oracle und db2-Datenbanken durch diese neue Technik ablösen. Nur bei der Cloud scheint das anders: Mit Cloud-Technik lassen sich alle IT-Probleme der Welt lösen, so suggerieren es die Fachmagazine.

Unsinnige Thesen

Viele verbreitete Thesen sind unzulässige Verallgemeinerungen, manche reiner Irrglaube. Prüfen Sie diese Aussage gern anhand unserer Gegenüberstellung:

These Kritische Überlegungen und Antithesen
Der Betrieb eigener Rechenzentren gehört nicht zu dem, was die IT-Abteilung am besten kann
  • Trifft zu, wenn die IT schwach ausgebildet oder unzureichend ausgestattet ist.
  • Wenn das nicht Kernkompetenz ist, was macht die IT, wenn alles in der Cloud läuft? Vertragsüberwachung der Cloud Provider ist doch keine Aufgabe der IT!
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    Fremdbetrieb von IT ist effizienter als Eigenbetrieb.
  • Günstiger ist Fremdbetrieb nur, wenn die eigene IT überdimensioniert ist und zu geringe Auslastung hat.
  • Effizienter ist Fremdbetrieb nie, wenn die interne IT 1:1 in die Cloud verlagert wird.
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    Cloud befördert die digitale Transformation
  • Kein schlecht digitalisierter Prozess wird digitaler, wenn er in der Cloud abläuft.
  • Cloud-Projekte erfordern eine intensive Transformation: Und bei Zeitnot wandelt sich dabei nur die Technik um, und nicht die zugrunde liegenden Prozesse.
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    Mit der Cloud rücken wir näher zum Kunden.
  • Die Cloud befindet sich mit „follow the sun“ weit weg – was bitte bewegt sich näher zum Kunden?
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    Cloud ist effizienter.
  • Effizienter als was bitte? Bei ineffizienter inhouse-IT ist das keine Kunst!
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    Migrieren in die Cloud befeuert die Modernisierung von Legacy IT.
  • Das ist Nebenwirkung und kein Nutzen der Cloud.
  • Die Wahrheit ist oft nur: Erst kommt die Transition in die Cloud mit Effizienzverlust durch viele Schnittstellen und Netzwerkverluste, und dann eine jahrelange, mühsame Transformation.
  • Denn für die Herstellung von „Cloud Readiness“ vor der Migration fehlen Zeit, Geld und Geduld.
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    Die Cloud ist flexibel und skalierbar.
  • Technisch ja.
  • Bei pay-per-use ist sie es auch.
  • Nur bevorzugen die Anbieter planbare Umsätze – und verteuern das pay-per-use so sehr, dass nur feste „Commitments“ und langfristige „Subscriptions“ gekauft werden.
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    Regulatorische Anforderungen und Datenschutz lassen sich durch Verträge mit dem Anbietern regeln.
  • Datenverlagerung in das Nicht-EU-Ausland erfordern oft eine Einwilligung von Kunden.
  • Die Verlagerung von bestimmten Daten stets – wie Gesundheitsdaten und damit jede Mail an und vom Betriebsarzt.
  • Solche Anforderungen lassen sich nicht durch Verträge mit dem Anbieter „erledigen“ – dieser Irrglaube ist weit verbreitet!
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    Security aus der Cloud ist besser.
  • Wer hat sich zuhause das Türschloss entfernt und überlässt den Diebstahlschutz der Polizei im entfernten Hauptquartier?
  • Sicherheit am Arbeitsplatz kann durch Verlagerung in die weit entfernte Cloud nicht größer werden!
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    Die Cloud reduziert die Komplexität.
  • Historisch gewachsene, heterogene und hoch komplexe IT-Strukturen lassen sich nicht 1:1 in die Cloud verlagern. Deshalb sorgt jedes Cloud-Projekt für eine meist jahrelange Vereinfachung unnötiger Komplexität.
  • Nur: Der stetige Technik-Fortschritt erfordert ständig Anpassungen und macht die Cloud-Umgebungen immer komplexer.
  • Zudem sorgt die Verteilung von Servern und Anwendungen in verschiedenen Cloud-Umgebungen für mehr Schnitt¬stellen, als es sie im eigenen Rechen¬zentrum gab.
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    Die Cloud verwandelt IT vom Kostenfaktor in Wertschöpfung für das Unternehmen.
  • Wieso sorgt allein die Verlagerung eines Kostenfaktors für dessen wundersamen Wandel?
  • Außer in IT-Unternehmen ist IT nie wertschöpfender Faktor. Sie ist stets nur ein wichtiges Hilfsmittel.
  • Gute oder schlechte Cloud – was stimmt nun?

    Die eine Cloud gibt es nicht. 2010 wurde noch fleißig zwischen IaaS, PaaS und SaaS unterschieden. Heute verschwimmen jene Grenzen und erscheinen nicht mehr wichtig. Selbst Private und Public Cloud scheinen zu verschwimmen: Fast alle Unternehmen nutzen heute hybride Cloud-Lösungen.

    Das zeigt deutlich: Vorteile der Cloud-Technik (wie flexible Skalierbarkeit, Konzentration auf APIs und datenzentrierter Ansatz) sind essentiell für eine moderne Unternehmens-IT. Nur sind sie nicht auf Anhieb nutzbar. Oft bereitet es erhebliche Mühe, die Anwendungen „cloud native“ zu gestalten – das ist die wichtige Transformation vor der Transition in die Cloud!

    Viele oft gerühmte Vorteile der Cloud haben gar nicht mit Cloud-Technik zu tun. Wenn die Rede von hoher Redundanz und Resilienz ist, dann nur deshalb, weil Amazon seine Rechenzentren redundanter aufgebaut hat als manches Unternehmen. Bei drei- oder fünffach redundanter Auslegung ist eine IT jeder Public Cloud überlegen!

    Dann ist sorgfältig zu überlegen, für welche Anwendungsfälle Public Cloud-Anbieter (gleich ob IaaS, PaaS oder SaaS) zulässig sind und Kostenvorteile bieten – und wo die Private Cloud sinnvoller ist.

    Wie so oft geht es um das richtige Maß und das Meistern der Komplexität!

     

    Ihr Ansprechpartner für dieses Thema:
    Rechtsanwalt Dr. Christian Weitzel